Passionslieder im Gesangbuchanhang

Es ist blau und liegt am Eingang unserer Kirche aus. Was ist das?
Richtig - der neue „Anhang zum Gesangbuch der Evangelischen Landeskirche in Baden“.
Wir haben ihn am 1. Advent 2018 offiziell eingeführt. Es gab bereits viele wertschätzende Rückmeldungen zu dem blauen Büchlein. Die gebundene Form kommt gut an. Der Inhalt stößt auf eine große positive Resonanz: der übersichtliche Textteil und natürlich die umfang-reiche Sammlung neuer Lieder. Lediglich Einlegebändel werden landauf und landab schmerzlich vermisst ...

Nun geht es darum, den Schatz der neuen Lieder zu heben. Da sind manche überraschende Entdeckungen zu machen. Vor uns liegt die Passionszeit. Hier einige Gedanken zu den Passions-Liedern aus unserem EG-Anhang.
Wie dankbar wurden damals die neuen Passionslieder im Evangelischen Gesangbuch aufge-nommen! Die Nummern 93 bis 98 im EG bieten willkommene Alternativen zu den aus dem EKG von 1951 übernommenen Passionsliedern. Sie sind stark vom Sühnopfergedanken geprägt. Inzwischen bereichern Bilder wie das Kreuz als Lebensbaum und das Samenkorn der Liebe seit vielen Jahren Gottesdienste und Andachten in der Passionszeit.

Es war der Liedkommission wichtig, im EG-Anhang den Pool neuer Passionslieder nochmals stark zu erweitern. Das thematische Verzeichnis der Lieder am Ende des Büchleins führt unter der Rubrik „Passion“ 12 Lieder auf.
Was zeichnet ein gutes Passionslied von heute aus?
Ich würde sagen: Ein gutes Passionslied von heute bringt persönliches und weltweites Lei-den zur Sprache. Es verschränkt dieses mit dem Leiden Jesu. Es kommt eher fragend daher und geht nicht zu schnell in einen Osterjubel über. Und doch gelingt es den Liedermachern, andeutungsweise eine hoffnungsvolle Perspektive zu öffnen. Meistens führt das in eine Bitte.
Ich möchte diese Spur an einigen Beispielen aus dem neuen EG-Anhang verfolgen.

Britt Hallquist stellt in NL 45 viele Fragen: „Gott, bist du tot? Wie sollen wir da für dich wirken und wagen? ... Hat er (sc. Gott) am Unrecht Gefallen?“ Aphoristisch wird das Leiden in heutiger Zeit angesprochen: „Bomben - Verrat - Dunkel - Leere - Unrecht.“ Dies mündet in der letzten Strophe in die Bitte: „Komm zu uns, Herr, lebensvoll, warm, tröste ...“ Der so ab-wesend erscheinen kann, wird erwartungsvoll gebeten: „Gott, geh du mit in unsre Welt.“

Renate Schiller gibt in NL 208 ebenfalls durch die Fragen heutigen Passionserfahrungen Raum: „Warum leiden so viele Menschen, und ihr Leben ist bedroht?“. Sie stellt diese zur Frage nach dem Kreuzestod Jesu. In der Mitte der zweiten Strophe folgen die Bitten: „Lass die Hoffnung in uns wachsen: Leben schafft sich wieder Raum.“ Zum Schluss taucht das Bild des Kreuzes als Lebensbaums auf, das uns aus den oben erwähnten neueren Passionslie-dern im EG bekannt ist.

In sehr verdichteter Form ist dasselbe auch in NL 170 zu finden. Eckart Brücken ruft das Zeichen des Kreuzes ganz verkürzt auf. Das Kreuz spricht als Zeichen des Leidens für sich. Im Text verwandelt es sich zu einem Zeichen der Hoffnung für den neuen Tag – „... dass ich nicht verzag“.

In NL 203 knüpfen Christof Messerschmidt und Verena Rothaupt zunächst an den hinter uns liegenden Weihnachtsfestkreis an. Die Gethsemane-Szene wird in der zweiten Strophe mit der grundlegenden Frage nach dem Leiden und Sterben Jesu verknüpft: „... wofür sind sie gut?“ Die dritte Strophe stellt den Weg Jesu neben die Passionserfahrungen der Menschen von heute: „Du gehst deinen Weg, wie auch Menschen ihn gehn...“ Die Betonung, dass Jesus wahrer Mensch war, wird in der letzten Strophe zum Geheimnis der Befreiung. Die verhaltene Bitte um österliche Erfahrungen im Refrain füllt dieses Geheimnis. Es bleibt noch verhalten – allerdings auffällig unterstützt durch den Verlauf der Melodie am Ende.

Eine ganz eigene Art von Passionslied ist unter NL 204 zu entdecken. Es ist ein Passionslied mit bewusst kritischen Tönen. Hartmut Handt regt in anstößiger Weise dazu an, das Symbol des Kreuzes nicht den bayerischen Amtsstuben zu überlassen. Es stellt sich die Aufgabe, die tiefe Bedeutung des Kreuzes als Zeichen der verborgenen Gegenwart Gottes in dieser Welt heute neu zu bedenken. Die drängende Melodie von Christoph Georgii unterstreicht dieses Anliegen. Den Schluss bildet auch hier eine Bitte: „Maranatha! Herr, komm bald!“

Es hat sich bei der Einführung des EGs 1995 als hilfreich gezeigt, in der ersten Zeit jeweils ein gleich bleibendes Monatslied für die Gottesdienste festzulegen. Die Passionszeit mit ihrer thematischen Klammer eignet sich hierfür besonders. Von den genannten Passionsliedern aus dem EG-Anhang würde ich als erstes NL 203 auswählen. Es ist typisch für die Struktur eines Passionsliedes unserer Zeit. Zugleich bietet es die Möglichkeit, mit gesanglich weniger geübten Menschen zunächst nur den Refrain mit der Bitte einzuüben.
Ich wünsche allen viel Freude dabei, das, was so blau am Eingang unserer Kirchen liegt, mit den Gemeinden in den nächsten Monaten und Jahren in Besitz zu nehmen.

Pfr. Gero Albert (Neckargemünd), Mitglied des Verbandsrates des Badischen
Kirchenchorverbands und Mitglied der Liedkommission. Von 2002-2017 Vorsitzender des Landesverbandes evang. Kirchenchöre in Baden

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