Neun Kirchenbesichtigungen mit elf Orgelvorführungen und drei Chorkonzerten, dazu zwei Vorträge über die Kirchen- und Kirchenmusikgeschichte Dänemarks – das war das randvolle Programm der Ländertagung der EKEK vom 22. bis 26. September 2016. Die Tagung hatte ihre Basis in und um die alte Zisterzienesr-Klosterkirche in Løgumkloster im südlichen Dänemark. Hans Christian Hein, der Leiter der Kirchenmusikschule in Løgumkloster, hatte zu dieser Tagung eingeladen, zu der 35 Teilnehmer aus elf europäischen Ländern angereist waren.
Von Erika Hansert
Im Gegensatz zu Siebenbürgen, wo die Tagung vor zwei Jahren stattfand und wo sich die wenigen Evangelischen in einem orthodoxen Umfeld behaupten müssen, bekennen sich die Dänen zu 80% zum evangelisch-lutherischen Glauben, die Katholiken bilden eine kleine Gruppe von ca. 20000 Mitgliedern. Die Begründung dafür lieferte Eberhard Harbsmeier, pensionierter Rektor des pädagogisch-theologischen Instituts in Løgumkloster, der kenntnisreich über die dänische Kirchengeschichte referierte. Hans Christian Hein ergänzte ihn in seinem Referat über die Kirchenmusik.
Kirchengeschichte Dänemarks
Im Jahr 928 n. Chr. kam der Mönch Ansgar nach Dänemark, bekam die Erlaubnis, eine Kirche in Ribe (an der Westküste) zu bauen. Ribe gedenkt heute noch seiner mit einer großen Bronzeskulptur vor der Kirche. 965 n. Chr. taufte er als dänischer Bischof den König. Damit wurde ganz Dänemark christlich. Der Religionswechsel erfolgte friedlich, zwischen Hünengräbern wurde die erste Holzkirche erbaut, d.h. heidnischer Totenkult der Wikinger und Christentum existierten lange Zeit nebeneinander.
Die Reformation erfolgte ebenfalls per Dekret von oben. Herzog Christian von Schleswig und Holstein, der 1521 den Reichstag in Worms erlebt, führt die Reformation in seinem Territorium ein, dann, nachdem er 1536 König in Dänemark wird, offiziell in ganz Dänemark. Als überzeugter Lutheraner setzt er Bischöfe ab und Superintendenten ein; anstatt die katholischen Priester zu entlassen, befiehlt er ihnen, nach Luthers Vorschriften zu predigen, was die meisten auch tun - viele von ihnen heiraten daraufhin -, er enteignet die Kirche, bezahlt aber dafür alle kirchlichen Angestellten. In Haderslev errichtet er eine Ausbildungsstelle für Pfarrer. Viele Studenten, u.a. Palladius und Hemmingsen, werden Schüler von Melanchthon und studieren in Wittenberg. Durch die über 200 dänischen Studenten wird Wittenberg die geistliche Hauptstadt Dänemarks. Melanchthon, der in den 1530er Jahren in Dänemark lebt, hilft bei der Verfassung einer Kirchenordnung. Demnach soll der Gottesdienst in der Muttersprache durchgeführt werden.
Dänische Liedertradition
Um 1550 werden alle lutherischen Lieder ins Dänische übersetzt und 1569 wird von Hans Thomissøn, Rektor der Lateinschule in Ribe, das erste dänische Gesangbuch mit 268 Liedern gedruckt, darunter 150 Lieder deutscher Tradition. Viele dänische Lieder besitzen Volksliedmelodien. Die Chöre der Lateinschulen sorgen für den Chorgesang in den Gottesdiensten. In allen Epochen gab es gute Dichter von Kirchenliedern. Von Thomas Kingo, Pfarrer und Bischof im 17. Jahrhundert, stehen heute noch 60 Lieder im Gesangbuch. Kingo sucht auch nach passenden Melodien zu seinen Texten, er adaptiert z.B. eine barocke Sarabande für ein Lied.
Das 19. Jahrhundert gilt als das Zeitalter der Lieder. Der Pfarrer, Dichter und Politiker Grundtvig schreibt über 1500 Lieder, von denen sich heute 250 im Gesangbuch finden. Grundvig war und ist noch heute eine Quelle für das christliche Leben im Land. Seine Persönlichkeit inspiriert andere Komponisten des 19. Jahrhunderts, neue Melodien zu komponieren, 100 davon stehen im heutigen Gesangbuch. Der Gottesdienst ähnelt dem reformierten in Süddeutschland, eine reduzierte Liturgie lässt Raum für viele Lieder Charakters, von denen immer alle Strophen gesungen werden – auch heute noch, wie wir im Sonntagsgottesdienst feststellen konnten.
Als Reaktion gegen die Romantik versucht der Kirchenmusiker Thomas Laub um 1900 eine Wiederbelebung von Melodien der Reformationszeit. Er komponiert volksliedhafte Melodien im Stil der Renaissance, sie sollen den Schein des Bekannten besitzen. Auch im Bereich des weltlichen Gesangs sind diese Reformgedanken erfolgreich: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist das gemeinsame Singen von Liedern in den Heimvolkshochschulen sehr verbreitet.
Erst in den Jahren nach 1970 kommen andere Stilarten im Kirchengesang zum Tragen. Im Choralbuch von 2003 stehen Melodien mit Inspiration sowohl aus der Volksmusik als auch aus Pop/Latin und klassischen Stilarten.
Heute gibt es in Dänemark 2000 Kirchen. In den 1970er Jahren waren Pfarrstellen auf dem Land begehrt, heute zieht es die Pfarrer mehr in die Städte, und auf dem Land herrscht Pfarrermangel. Auch wenn der Kirchenbesuch wie in Deutschland nachlässt, wird Wert gelegt auf Taufe, Konfirmation und kirchliche Trauung, die sogar als standesamtliche Trauung gilt.
Dänische Orgelmusik:
Was die Orgelmusik anbetrifft, so ist sie stark mit der deutschen verbunden. Dänische Studenten studieren bei deutschen Komponisten, z.B. Johann Lorenz (17. Jh.) bei Jacob Praetorius und Niels Gade (bekanntester dänischer Komponist im 19. Jh.) bei Mendelssohn, umgekehrt studiert Buxtehude in Dänemark und Schweden. Der Spätromantiker Niels Raasted ist von Max Reger beeinflusst, bei Peter Møller, 1973-1977 Organist in Løgumkloster, ist der Einfluss von modernen französischen Komponisten (Messiaen) spürbar.
Die Chormusik des 16. Jahrhunderts ist in ganz Mitteleuropa geprägt von Italien. König Christian schickt mehrere junge Musiker nach Venedig zur Ausbildung bei Gabrieli und Monteverdi. Vokalwerke von Hammerschmidt, v.a. Kantaten, werden oft in den Lateinschulen gesungen, in der großen Bibliothek in Ribe finden sich viele Kompositionen von deutschen und französischen Komponisten. Ende des 19. Jahrhunderts schreiben einige Komponisten spätromantische Chorwerke, um 1920 komponiert Carl Nielsen, beeinflusst von Aufführungen von Vokalwerken aus der Zeit Palestrinas, einige Motetten im Renaissancestil. In den letzten 50 Jahren sind sehr viele kirchliche Vokalkompositionen entstanden, u.a. auch für Chor und Orgel.
Exkursionen, Konzerte, Besichtigungen:
Einen großen Raum in der Tagung nahm die Besichtigung von Kirchen in acht Städten Süddänemarks ein, Ribe und Tønder im Westen, Aabenraa, Haderslev, Kliplev, Sønderburg und Schloss Grasten im Osten, dazu noch Flensburg nahe der Grenze. Ein Mädchenchor in Aabenraa und ein Knabenchor in Haderslev zeigten ihr beachtliches Niveau in kurzen Konzerten, in Løgumkloster gab der Dreifaltigkeitschor aus Esbjerg ein herausragendes Konzert. Der Chor besteht aus 50 Knaben- und Männerstimmen und setzt damit die Tradition der früheren Lateinschulen fort. Die Knaben bekommen mit acht Jahren Gesangsunterricht, Gehörbildung und Musiktheorie, ehe sie in den Chor aufgenommen werden. So haben die meisten der Männerstimmen als Soprane angefangen.
In Løgumkloster gab es ein abendfüllendes Orgelkonzert auf der von Marcussen & Søn im Jahr 2015 neu erbauten dreimanualigen Orgel. Sehr interessant und grundlegend für die weiteren Orgelvorführungen war die Besichtigung der Orgelbauwerkstatt in Aabenraa. Hans Christian Hein hatte in jedem Ort dafür gesorgt, dass der zuständige Organist bzw. Kantor seine Orgel in einer halbstündigen Vorführung zu Gehör brachte.
Viele der großen Stadtorgeln besitzen noch eindrucksvolle barocke Prospekte, deren Innenleben aber des öfteren renoviert wurde. Ein besonderes Kleinod stellt die Renaissanceorgel in der Schlosskapelle in Sønderborg dar. Königin Dorothea von Sachsen, Ehegattin des Reformkönigs Christian III, ließ 1570 die Kapelle mit einer kleinen Orgel erbauen. Da das Schloss um 1670 verlassen wurde, verwahrloste die Orgel, sodass Ende des 19. Jahrhunderts nur noch das Gehäuse übrig war. 1997 wurde sie liebevoll restauriert, aber nicht modernisiert. Das heißt, die Orgel mit 14 Registern besitzt eine mitteltönige Stimmung, sodass nur Tonarten mit wenigen Vorzeichen gespielt werden können, dafür gibt es eine dis/es-Doppeltaste. Die Registerzüge sind als Stangen rechts und links neben dem schmalen Gehäuse angebracht; und schließlich gibt es noch eine Nachtigallenpfeife, die, mit Wasser gefüllt, das Trillern des Vogels nachahmt.
Die große Orgel in St. Nicolai Flensburg:
Als Höhepunkt präsentierte uns Kirchenmusikdirektor Michael Mages in St. Nikolai in Flensburg die größte Orgel des Landesteils Schleswig. Hinter dem beeindruckenden 15 mal 7 Meter großen Prospekt von 1709 befinden sich zwei Stilinstrumente: die barocke Schnitgerorgel mit alter, mitteltöniger Stimmung, geeignet zur authentischen Wiedergabe der Musik des norddeutschen Barock. Dahinter befinden sich das Werk der 2009 fertiggestellten symphonischen Orgel mit den Merkmalen der großen romantischen Orgeln, diese besitzt einen eigenen Spieltisch auf der darunter befindlichen Sängerorgel. Auf dem vierten Manual dieses Spieltischs kann das Fernwerk gespielt werden, das sich auf dem Dachboden des Altarraums befindet und nur durch ein rundes Fenster zu hören ist.
Die Tagungsteilnehmer waren aber nicht nur schweigende Zuhörer. Jeden Tag wurde bei der Morgen- und Abendandacht im renovierten Kapitelsaal des Klosters gesungen, und für den Sonntagsgottesdienst wurden drei Chorwerke dänischer Komponisten einstudiert.
Abgerundet wurde das Tagungsprogramm noch mit dem Besuch der Kirchenmusikschule in Løgumkloster und der Museen in Ribe und in Tøndern. Eine kleine Erholung bildete ein Strandspaziergang auf der Insel Rømø.
Hans Christian Hein gilt ein ganz großer Dank für die kompetente und ausgezeichnete Durchführung dieser Tagung.
Die nächste Ländertagung ist vom 20. bis 23.9.2018 in Litauen geplant.