„Psalmen des Lichts“ für Soli, zwei Chöre und Ensemble von Otfried Büsing

„Psalmen weiterschreiben“ lautete das Motto des am 28. November 2014 – dem Freitag vor dem 1. Advent – in der Stuttgarter Stiftskirche stattfindenden Abschlusskonzertes im Rahmen des Stuttgarter Psalmenjahres 2013/14, für das ein Kompositionsauftrag an den Freiburger Komponisten Otfried Büsing vergeben worden war. Erbeten war ein von einem großen Chor aus engagierten Laien ausführbares Werk, das das Angebot zeitgenössischer geistlicher Musik erweitern und sich in Umfang und Schwierigkeitsgrad zu Wiederaufführungen auch in anderen Kantoreien eignen würde.
Im Mittelpunkt des knapp halbstündigen Werkes Psalmen des Lichts stehen deshalb neben einem Instrumentalensemble und drei Vokalsolisten zwei fünfstimmige Chöre, die eindrucksvoll in höchst unterschiedlicher Weise zum Einsatz kommen: Über klassisch doppelchöriges Alternieren und verschiedene Unisoni hinaus werden die Stimmen immer wieder vielfach unterteilt, wodurch faszinierende atmosphärische Klänge enstehen. Besonders das geheimnisvoll-zeitlupenhafte zehnstimmige Pianissimo zu den Worten „Die Geheimnisse Gottes, wer kennt sie?“ zeugt von Büsings Können im sensiblen Umgang mit den chorklanglichen Möglichkeiten, ohne dabei die technischen Ansprüche für die Chorsänger zu hoch zu setzen.
Den klangstarken Chorstücken sind solistische Sätze gegenübergestellt. Unterstützt von dem Instrumentalensemble aus Holz- und Blechbläsern, Saxophon, Harfe, Akkordeon, Percussion, Großer Orgel und Fernorgel treten sie in eine fruchtbare Wechselbeziehung mit den Chorstücken. Dabei gründet das Alternieren von Chor und Soli unter anderem auf der spannenden Textauswahl: Als Grundlage für die chorischen Passagen dienen von der Lichtmetapher durchzogene Psalmtexte aus den Höhlen von Qumran; die Solonummern dagegen präsentieren Exzerpte aus der stark auf das Individuum bezogenen Poesie Else Lasker-Schülers. So entsteht ein in seiner Anlage mit der Marienvesper Claudio Monteverdis vergleichbares Werk, das die ambivalenten und vielschichtigen Beziehungen zwischen Gott und den Menschen (als Gemeinde und Individuum) in einem Wechselspiel von ekstatischem Gottesjubel und tiefen Zweifeln auslotet, aber schließlich zu einem versöhnlichen Ende führt.
Dem Stuttgarter Kirchenkreiskantor Jörg-Hannes Hahn gelang es, mit seinem gut einstudierten großen Projektchor, einem großartigen Instrumentalensemble und den ausdrucksstarken Vokalsolisten Christie Finn (Sopran), Lena Sutor-Wernich (Alt) und Matias Bocchio (Bass) die unterschiedlichen Charaktere und die atmosphärische Vielfalt des Stückes eindrucksvoll darzubieten. So wurden Büsings Psalmen des Lichts in der vollbesetzen Stuttgarter Stiftskirche zu einer bejubelten Uraufführung.
Siglind Bruhn

Das Aufführungsmaterial ist erhältlich bei edition gravis, Berlin editiongravis@t-online.de.
Siglind Bruhn, Konzertpianistin und promovierte Musikwissenschaftlerin, arbeitet seit 1993 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institute for the Humanities der Universität von Michigan, USA. Schwerpunkt ihrer Forschung ist die Musik des 20. Jahrhunderts

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