Ländertagung der EKEK in Siebenbürgen/Rumänien

Evangelische Kirchenmusik in orthodoxem Umfeld – Ländertagung der EKEK in Siebenbürgen/Rumänien

Kurt Philippi, Musikwart der evangelischen Kirche Augsburger Bekenntnisses in Rumänien und Leiter des Hermannstädter Bachchors, hatte zur Ländertagung der Europäischen Konferenz für evangelische Kirchenmusik (EKEK) vom 25.9. bis 1.10.2014 nach Siebenbürgen eingeladen. 38 Teilnehmer aus 13 europäischen Ländern waren nach Hermannstadt (Sibiu) gekommen, das für fast alle noch einen weißen Fleck auf der Landkarte darstellte, um einiges über die Siebenbürger Sachsen zu erfahren und ihre Kirchenmusik kennenzulernen.
Zur Eröffnung der Ländertagung gab es am ersten Abend ein kleines Konzert mit Werken Siebenbürger Komponisten. Der Hermannstädter Bachchor, zwei Solistinnen, ein Kammerorchester und Ursula Philippi an der Orgel bzw. am Klavier interpretierten Werke des Hermannstädter Kantors Philipp Caudella (1771-1826), von Rudolf Lassel ( 1861-1918), der in Leipzig studiert hatte und in Kronstadt Kantor war, sowie von Hans Peter Türk (*1940), Musikwissenschaftler und Professor an der Musikhochschule Klausenburg. Kennzeichnend für die Werke ist die praxisbezogene Besetzung mit einigen Streichern, wenigen Bläsern (Hörner oder Klarinetten aus den städtischen Blaskapellen) und konzertanter Orgel.
Am folgenden Tag gab Frank-Thomas Ziegler, Kurator des Brukenthalmuseums in Hermannstadt, einen Überblick über die Geschichte und das kulturelle Erbe der Siebenbürger Sachsen.
Die Sachsen – wie die deutschstämmigen Siedler in Siebenbürgen genannt werden – kamen schon im 12. Jahrhundert aus den Gebieten westlich des Mittelrheins bis Flandern nach Siebenbürgen, weil der ungarische König Geza II. die deutschen Siedler brauchte, um das Land urbar zu machen und um die Ostgrenze seines Landes gegen Osmanen und Tataren zu sichern. So entstand ein breiter Verteidigungsgürtel mit bäuerlichen Ansiedlungen und mehr als 300 Wehrkirchen, Kirchenburgen und Festungen. Mit einem florierenden Städtewesen nach westlichem Vorbild, Schulen, Kirchen und evangelischen Kirchengemeinden - die Reformation hatte in Siebenbürgen schon 1543 Einzug gehalten - war Siebenbürgen jahrhundertelang nicht nur eine Insel der deutschen Sprache, sondern auch der mitteleuropäischen Kultur. 1526 kam Siebenbürgen unter türkische Oberhoheit, Ende des 17. Jahrhunderts zur katholischen Habsburger Monarchie, und nach dem ersten Weltkrieg wurde es ein Teil Rumäniens. Das 20. Jahrhundert ist geprägt von einer großen Auswanderungswelle nach Amerika um 1920, Vertreibung und Deportation nach dem zweiten Weltkrieg, der systematischen Unterdrückung der siebenbürgisch-sächsischen Kirche und Kultur und wirtschaftlichem Niedergang während der kommunistischen Diktatur. So kam es nach der Öffnung der Landesgrenzen nach 1989 zu einer fluchtartigen Auswanderung fast aller Siebenbürger Sachsen. Von den 180000 Sachsen sind heute noch ca. 12000 übrig, die von 38 Pfarrern betreut werden.
Herr Ziegler gab auch einen kurzen Einblick in seine Aufgabe als Kurator: Das Brukenthalmuseum in Hermannstadt ist eine Stiftung des evangelischen kaiserlichen Gubernators Baron Samuel von Brukenthal, der seine Sammlungen samt mehreren Gebäuden nach seinem Tod 1803 dem Evangelischen Gymnasium in Hermannstadt vermachte, dessen Träger die Kirchengemeinde war.
Im 19. Jahrhundert überließen nun viele evangelische Gemeinden ihre Kunstschätze dem Museum, sodass dies zur bedeutendsten Schatzkammer kirchlicher Kulturgüter wurde. Der nationalkommunistische Staat enteignete das Museum im Jahr 1948, das staatliche Denkmalamt wurde geschlossen, zahlreiche Sammlungsobjekte verschwanden oder verrotteten. Erst im Jahr 2005 bekam die evangelische Kirchengemeinde Palais und Museum zurückerstattet. Aufgabe des Kurators ist es nun, nicht nur die Objekte ehemaliger Kirchenausstattungen zu ordnen und zu konservieren, sondern sie auch der Bevölkerung zugänglich zu machen und ihr so den unschätzbaren künstlerischen und historischen Wert dieser Kunstgegenstände zu vermitteln. Dazu gehören z. B. kunstvolle vorreformatorische Messgewänder in osmanischem Stil, die von den lutheranischen Pfarrern bis 1850 getragen wurden.
Einen umfassenden Einblick in die evangelische Kirchenmusik in Siebenbürgen vermittelte Frau Ursula Philippi, Kantorin der evangelischen Gemeinde in Hermannstadt und Professorin für Orgel an der staatlichen Musikhochschule in Klausenburg (Cluj), wo sie Studierende aller in Siebenbürgen vertretenen Konfessionen unterrichtet. Im orthodoxen Umfeld geht von der evangelischen Kirchenmusik eine ungebrochene Faszination aus. Fast alle Kirchen verfügten über eine Orgel, die Kirchengemeinden sorgten immer für die Ausbildung von Kantoren, die für ihre Chöre u.a. Dicta komponierten, eine speziell siebenbürgische Form der Kantate, mit Chorälen für die Gemeinde zum Mitsingen. In den Städten erteilte der Kantor täglich Musikunterricht am Gymnasium, die Schüler sangen im täglichen Morgengottesdienst um sieben Uhr!
Und wie sieht die die musikalische Landschaft heute aus? Sie ist geprägt vom anstrengenden Versuch, zu erhalten und weiterzuführen, was möglich ist. Viele Chöre, das Rückgrat der praktischen Kirchenmusik, gingen nach der Wende ein. Von den über 200 Orgeln werden nur noch wenige gespielt und höchstens zehn Prozent sind in einem guten Zustand, wie Frau Philippi bedauernd berichtet. Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs erlosch im kommunistischen Rumänien jede orgelbauerische Tätigkeit, bis auf wenige Restaurierungen. Heute steht in jeder Stadtkirche schon zusätzlich mindestens eine Orgel aus einer Dorfkirche, um sie vor dem Verfall zu retten und sie einem interessierten Publikum in Konzerten zu präsentieren.
Der große Rest ist Dieben, Nagetieren und dem Zahn der Zeit ausgesetzt. Ein Problem für junge rumänische Organisten stellt auch die deutsche Sprache dar. Inzwischen gibt es aber vermehrt Gottesdienste in rumänischer Sprache und seit 2006 ein zweisprachiges Gesangbuch.
Für die evangelisch-siebenbürgische Kirchenmusik sieht Ursula Philippi durchaus hoffnungsvoll in die Zukunft. Bei Orgelkonzerten sind die Kirchen voll, und im Bachchor in Hermannstadt gibt es auch orthodoxe und andere Sänger, die nicht zur Gemeinde gehören. Vor allem die Aufführung von Oratorien zieht neue Sänger an.
Großen Zulauf haben in einigen Stadtgemeinden die Kinderchöre. Nur wenige Kinder sind evangelisch getauft, alle kommen aber aus Schulen, in denen deutsch unterrichtet wird. So kommen an Festtagen auch Erwachsene in die evangelischen Kirchen, wo sie begeistert singende Kinder erleben.
Eine weitere Chance sehen die evangelischen Kirchen im Kulturbetrieb. Anstelle von Gottesdiensten gibt es z. B. Andachten in rumänischer Sprache mit musikalischen Darbietungen, zu denen auch anderskonfessionelle Nachbarn kommen. Die Kantorin in Mediasch veranstaltet Weihnachtskonzerte aller Konfessionen in drei Sprachen, in Deutsch, Rumänisch und Ungarisch. Die zwei Pfarrer, die dort die 800 Evangelischen und noch weniger in den 45 umliegenden Gemeinden betreuen, geben Konfirmandenunterricht in rumänischer Sprache, bei ökumenischen Gebetswochen predigen sie auch in orthodoxen Kirchen und orthodoxe Geistliche in evangelischen Kirchen. Eine wichtige Rolle spielen auch die kirchlichen Kindergärten und Altersheime.
Ein Höhepunkt der Ländertagung war für die Teilnehmer die musikalische Mitgestaltung des Sonntagsgottesdienstes. Mit dem Bachchor Hermannstadt sangen sie das Dictum „Niemand kann zwei Herren dienen“ zum 15. Sonntag nach Trinitatis von Martin Polder. Die festliche Aufführung zusammen mit dem Bachchor, einem kleinen Orchester - wobei die vorgeschriebenen Hörner praktischerweise durch Klarinetten ersetzt wurden -, und Ursula Philippi an der Orgel war sowohl für die Einheimischen wie für die Gäste ein unvergessliches Erlebnis. Polder gilt als einer der produktivsten Dicta-Komponisten des 19. Jahrhunderts. Vom Schässburger Presbyterium erhielt er ein Stipendium für ein Musikstudium in Wien, mit der Auflage, nach seiner Rückkehr als Kantor Kompositionen für den gottesdienstlichen Gebrauch anzufertigen. Seit einigen Jahren sammelt Kurt Philippi alte und verstreute Notenbestände, um aus Einzelstimmen Partituren zum praktischen Gebrauch herauszugeben – eine schwierige Aufgabe angesichts verschiedener, oft schwer lesbarer Abschriften und z.T. fehlender Einzelstimmen.

Drei Tage waren dem Kennenlernen der Landschaft, der Dörfer und Städte Siebenbürgens mit ihrem Reichtum an Kulturgütern gewidmet. Dazu gehörten zunächst das Dorfmuseum „Astra“ und der Besuch der orthodoxen Kirche und des Museums für Hinterglasmalerei in Sibiel, einem kleinen rumänischen Dorf westlich von Hermannstadt. Des weiteren beeindruckten die gotischen bzw. neugotischen Stadtkirchen in Kronstadt, Mediasch und Schässburg nicht nur durch den Reichtum ihrer Ausstattung - dazu gehören die für Siebenbürgen typischen Wandteppiche in osmanischem Stil -, sondern vor allem durch ihre historischen, reich verzierten Orgeln. Dabei hatten die Organisten unter den Teilnehmern die Gelegenheit, in der Schwarzen Kirche in Kronstadt selbst die vier(!) Orgeln zu spielen. Dank der Unterstützung durch die Bundesrepublik Deutschland, die EU und viele Sponsoren konnten in den letzten Jahren viele Kirchen und Orgeln restauriert werden. Die große Stadtkirche in Hermannstadt wird zur Zeit renoviert und konnte deshalb nicht besichtigt werden.
Nicht zuletzt gehörte die Besichtigung von Kirchenburgen - die großen Anlagen Trappold und Birthälm gehören zum Weltkulturerbe - mit ihren Wehrtürmen und doppelten Ringmauern zum äußerst eindrucksvollen Erlebnis der Reise. Der liebevoll gerichtete Kaffee mit selbstgebackenem Kuchen sowohl der Kantorenfamilie Halmen in Schässburg als auch der Frauen in Alzen, die auch noch Lieder in sächsischer Mundart vortrugen, verdient besondere Erwähnung.
Dem Ehepaar Philippi gilt ein großer Dank: Ursula Philippi für die kompetente musikalische Information und Begleitung an der Orgel, Kurt Philippi für die hervorragende Leitung der Tagung und die kenntnisreiche, nachdenklich-heitere Führung durch die Schätze Siebenbürgens. Ihr Ausharren angesichts der schwindenden deutschen Bevölkerung und ihr Einsatz für die Erhaltung der Kirchenmusik in Siebenbürgen ist nicht hoch genug einzuschätzen.
Die nächste Arbeitstagung der EKEK findet vom 24. bis 27.9.2015 in Straßburg statt, die nächste Ländertagung 2016 in Lögumkloster/Dänemark, und die darauffolgende ist 2018 in Litauen vorgesehen.

Erika Hansert
Hohberg

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